Der Rollstuhl-Rocker – zurück ins Leben

Nein, so richtig passt er nicht in die Kirche – zumindest nicht optisch. Irokesen-Frisur, den Körper übersäht mit Tatoos… Da denkt man eher an Lederjacke und Harley-Davidson als an Kirchenbänke. Wenn da nur nicht zwei Kleinigkeiten wären: er sitzt im Rollstuhl. Und er ist gläubiger Katholik.

Thomas Hoffmarck, 53 Jahre alt, erlitt vor fast 30 Jahren einen tragischen Arbeitsunfall: „Ich war als Bergmann unter Tage beim Kohle-Abbau“, erinnert er sich. Ein Maschinist hatte ein Signal falsch verstanden und die Einschienen-Hängebahn ist direkt in seine Gruppe gerast. Sechs Kumpel starben, Hoffmarck überlebte schwerstverletzt. Als er nach drei Monaten aus dem künstlichen Koma erwachte, war er querschnittsgelähmt. „Ich bekam das ganz harte Paket“, erzählt er, „ich habe geschrieen vor Schmerzen, musste einfache Dinge wie Essen und Sprechen neu lernen.“

Für kurze Zeit haderte er mit seinem Schicksal: „Direkt nach dem Unfall habe ich auch Gott gefragt: Warum ich?“, bekennt Hoffmarck. Aber er konnte Gott nicht dafür verantwortlich machen, was ihm passiert sei. „Und dann habe ich mein Leben durch den Glauben, durch Gott, wiedergefunden. Ich hab mir gesagt, du musst dich da raus pushen, du musst den Leuten und dir selber zeigen, dass du es schaffst.“ Geholfen hat ihm dabei die Bekanntschaft mit dem damals 19jährigen Norbert, den er während der einjährigen REHA kennengelernt hatte. Obwohl Norbert nach einem Badeunfall vom Kopf an abwärts gelähmt, hatte Hoffmarck „mit dem Mann einen Heidenspaß gehabt, der hat mir soviel Lebensmut und Kraft gegeben“.

 

 

Und so fing Thomas Hoffmarck an, zu trainieren. Er begann 1991 mit Basketball. Doch auch wenn er „durch den Sport so viel Energie bekommen“ hatte, fehlte ihm etwas. Denn für ihn war klar, dass er eine Botschaft vermitteln wollte: „Ich wollte ein Zeichen setzen für die Integration behinderter Menschen; dass man trotz Handicap alles erreichen kann.“ Aber um diese Botschaft zu verbreiten, brauchte er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. „Ich mir gedacht, du musst ein Projekt machen, das außergewöhnlich ist.“ 

Also begann er, medienwirksame Aktionen zu starten: Er machte bei der TV-Sendung Big Brother mit, gewann sechs mal den Triathlon, fuhr mit dem Rollstuhl 3.600 Kilometer von Köln nach Istanbul in 90 Tagen, war auf dem Hochseil, sprang mit dem Fallschirm ab, stürzte sich am Bungee-Seil von Brücken, balancierte im Zirkus auf dem Hochseil, fuhr Wasserski. Ihm war es wichtig zu zeigen, dass man sich „nicht mit dem Schicksal abgeben, nicht resignieren“ soll. Mit unbändiger Energie suchte er sich Sponsoren und sammelte Geld für seine Hilfsprojekte, unterstützt von Prominenten wie Reiner Calmund, Costa Cordalis und Manuel Neuer.

Aber er gibt auch zu, damals „süchtig nach neuen Herausforderungen“ gewesen zu sein, denn „die Projekte wurden immer größer und verrückter“. Irgendwann sah er ein, dass er kürzer treten musste, zumal auch der Körper auf Dauer diesen Belastungen nicht gewachsen war. Hinzu kam: „In den letzten 30 Jahren war ich jedes Wochenende auf Tour. Wenn man so viel unterwegs ist, vernachlässigt man seine Familie und die alten Freunde. Ich musste sesshaft werden, deshalb habe ich mein Haus gekauft.“ Und auch, wenn er seit zwei Jahren mehr auch an sich selbst denkt und keine wilden Aktionen mehr plant – man spürt immer noch seine Energie und seinen Willen. Sein Haus renoviert er in Eigenleistung, und „wenn ich was nicht kann – dann steht ich da und kriege so ne Krawatte“, erzählt Hoffmarck augenzwinkernd. Einen Nagel in 2 Metern Höhe in die Wand zu schlagen, ist beispielsweise eine Herausforderung. Aber er hat sich aus Bierkisten ein Gestell gebaut und „dann komm ich da irgendwie auch rauf“.

 

 

Und so ganz kann er es natürlich doch nicht lassen, die Welt ein klein wenig besser machen zu wollen. „Es sind so viele ältere Menschen in der Kirche – da sitzt der Maurer, da sitzt der Schlosser, die jahrelang ihren Job geliebt haben. Warum stellt die Kirche nicht ein Service-Team zusammen? Die Leute arbeiten für den guten Zweck, reparieren gegen Spende, eine Art Hausmeisterservice“, überlegt er. Er habe sich mit vielen Leuten unterhalten, „die würden das gerne machen“. Diese „alte Garde“, wie er sagt, könnte auch Workshops anbieten für die jungen Leute, wie man handwerklich etwas macht, „mauern oder fliesen oder kochen lernen“. Er ist überzeugt: „Die alten Leute werden nur noch abgeschoben, dabei könnten wir von ihrem Wissen profitieren!“

 

von Gers Hülsmann